Angst davor, wie sie reagieren würden, wenn er es ihnen erzählte.
Falls er es ihnen erzähle. So wie er sich kannte, machte er kurz davor wieder einen Rückzieher, wie er es immer tat.
Er hatte es schon vielen erzählen wollen. Seinem Besten Freund, dem Bi-Sexuellen Mädchen aus dem Austausch, dem Jungen aus der argentinischen Schule, der in ihn verliebt war... doch immer, wenn er es aussprechen wollte, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Es war, als würden diese drei Worte ihn von innen heraus zerstören und deswegen einfach nicht rauskommen wollen.
Er wollte es sagen. Von ganzem Herzen wollte er es in die Welt hinausschreien, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Vielleicht war es die Tatsache, dass er streng christlich erzogen worden war, vielleicht hatte er sich selbst noch nicht hundert prozentig akzeptiert, vielleicht war es aber auch nur die riesengroße Angst vor den Reaktionen.
Er hatte im Internet Videos von Leuten gesehen, die es ihren Eltern gesagt hatten und dafür von ihnen verstoßen wurden.
Und das wollte er nicht.
Er liebte seine Eltern und er wollte, dass sie ihn auch so liebten, wie er war.
Vor der Gepäckausgabe gaben seine Beine erneut nach und er brach unter Tränen zusammen.
Weiche Hände fassten seine Schultern und ein Gesicht tauchte vor seinen Augen auf.
Er konnte nicht viel erkennen, außer den grünen Augen und dem kantigen Gesicht.
"Geht es ihnen gut? Brauchen sie einen Arzt?"
Nein. Nein verdammt es ging ihm nicht gut. Er wollte schreien, all den Druck, den er aufgebaut hatte einfach loswerden.
Aber er tat es nicht.
Er musste seine Probleme nicht auch noch fremden Leuten am Flughafen aufdrängen.
"Mir geht's gut. Danke. Es tut nur etwas weh, nach dem langen Flug wieder zu laufen."
Es war eine lahme Ausrede. Das wusste er und das wusste anscheinend auch der Mann, der ihm gegenüber saß.
Dennoch ließ er ihn in Ruhe und er stand auf.
Der Junge blieb noch eine Weile sitzen, bis er seinen Koffer sah und sich gezwungen fühlte, aufzustehen.
Er nahm seinen Koffer, der sich anfühlte, als würde er hundert Kilo wiegen, vom Gepäckband und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
Er hörte seine Familie schon von weitem.
Seine kleine Schwester hüpfte aufgeregt hin und her, als sie ihn sah.
Er lächelte und schluckte seine Schmerzen hinunter, in der Hoffnung, dass sie aus lauter Euphorie nicht bemerkten, wie sehr er mit sich rang.
Die freudigen Umarmungen, als er endlich bei ihnen war und die Fragen, wie der Flug war und wie es ihm ging, realisierte er kaum.
Es fühlte sich an, wie ein Alptraum, aus dem er nicht erwachen konnte.
Auf dem weg zu ihrem Auto bekam er Kopfschmerzen vom Lärm des Flughafens.
Ihm wurde von Sekunde zu Sekunde schlechter, weil der Alptraum von Sekunde zu Sekunde in der er bei ihnen war immer schlimmer wurde und die Monster, die ihn von innen heraus seit Monaten quälten endlich raus wollten.
Ohne, dass er wusste, wie er dort hin gekommen war, befand er sich plötzlich im Auto seines Vaters, das sonst so vertraut war, aber jetzt eng und fremd wirkte wie ein Gefängnis.
Die Landschaft zog an ihm vorbei und als er bemerkte, dass es im Auto still war, atmete er tief ein und beschloss, dass jetzt der passende Moment war.
Plötzlich sah er alles klar. In seinem Kopf gab es nur einen Gedanken und er wusste, dass er es jetzt nicht mehr länger aufhalten konnte.
"Ich bin schwul."
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